Den Kindern fehlt das, was sie glücklich macht: der Fußball

Ein Leben ohne Fußball schien für Rita Schiertz kaum vorstellbar. Ihre Zwillinge und ihre Tochter standen vor der Corona-Pandemie nahezu täglich auf dem Rasen. In den vergangenen Wochen wurde das Unvorstellbare jedoch Realität. Wir haben mit der 41-jährigen "Fußball-Mama" über die Auswirkungen der Fußballpause auf ihre Kinder, ihren Appell an die Politik und die nötige Disziplin bei der Einhaltung von Hygienekonzepten gesprochen.

FUSSBALL.DE: Frau Schiertz, Sie haben drei Kinder, die begeistert Fußball spielen und einen Mann, der C-Jugendtrainer ist. Wie ist die aktuelle Situation für Ihre Familie – ganz ohne Fußball?
Rita Schiertz: Unser komplettes Leben dreht sich um Fußball. Wir sind jeden Tag am Platz. Meine Jungs spielen für einen leistungsorientierten Verein. Dadurch haben sie viele Trainingseinheiten, Turniere und Spiele. Im vergangenen Jahr sind wir fast in ganz Baden-Württemberg rumgefahren. All das fällt aktuell komplett weg. Die Kinder haben zwar super Angebote für Onlinetrainings, was sie zu Beginn auch noch genutzt haben. Inzwischen haben sie aber keine Lust mehr darauf. Für sie ist Fußball einfach etwas anderes: auf dem Platz, mit der Mannschaft, mit den Freunden, mit denen man auch mal Blödsinn macht.

Die Sehnsucht nach der Rückkehr auf den Platz scheint riesig.
Schiertz: Fußball ist ein Mannschaftssport, die Kinder leiden wirklich. Das kann man nicht beschönigen. Sie leiden körperlich. Meine Kinder fallen in ein Loch. Sie sind sehr traurig. Ich habe drei Teenager zu Hause, die die Bewegung brauchen, um sich nach einem blöden Schultag auszupowern. Sie wollen sich mit anderen messen. Sie vermissen ihre Mannschaft und ihre Teamkollegen wahnsinnig.

Sie sprechen den sozialen Aspekt an: Fehlt das Gemeinschaftsgefühl?
Schiertz: Auf jeden Fall, und wie! Ich kann gar nicht in Worte fassen, was der Fußball meinen Kindern bedeutet. Der Vereinstrainer sagt, sie seien fußballsüchtig. Auch meine Tochter. Sie spielt zwar "nur" im Dorfverein, aber sie hat dort ihre Mädels und will zurück auf den Platz, weil sie ihre Mädels vermisst. Sie gackern zusammen, lachen und haben so eine Freude. Ihr fehlt eher das. Schon auch das Spiel und das Training, aber viel mehr das Miteinander, das Vereinsleben. "Mama", haben meine Kinder gesagt, "ein Leben ohne Fußball ist möglich, aber sinnlos". Das trifft den Nagel auf den Kopf.

Wie sehr fehlt auch Ihnen der Fußball?
Schiertz: Meine Kinder gehen auf ein G8. Wir mussten als Familie also schon früh alles gut takten, was aber super funktioniert hat. Meine Kinder waren die glücklichsten auf der Welt. Ich muss ehrlich zugeben: Durch die aktuelle Situation verspüren nicht nur meine Kinder eine Leere. Mir geht es genauso! Ich liebe es einfach, als Familie unsere Kinder an den Platz zu begleiten, für sie da zu sein, mit ihnen mitzufiebern.

Die stolze Mama an der Seitenlinie?
Schiertz: Ja, auf jeden Fall! Zu sehen, was ihnen der Fußball gibt, macht mich total glücklich. Teil einer Gruppe, Teil der Gesellschaft zu sein - das ist heutzutage so wichtig. Am Fußballplatz findet so viel mehr statt als nur der Sport. Das Soziale, die Integration. Was der Fußball meine Kinder lehrt, kann ich zu Hause unmöglich kompensieren.

Was wünschen Sie sich aktuell? Was sollte sich ändern?
Schiertz: Die Kinder werden immer trauriger und gefrusteter, weil ihnen die Perspektive fehlt. Man kann ihnen nicht sagen, dass sie nur noch vier Wochen durchhalten müssen und dann zurück auf den Platz dürfen. Meine Jungs und auch meine Große wären allein schon überglücklich, wenn sie nur einmal in der Woche Training hätten. Wie zu Beginn des Lockdowns, dieses kontaktlose Training, damit wären sie schon unheimlich glücklich. Ihnen geht es nicht darum, dass die Rückrunde weiter geht. Es geht primär darum, endlich wieder auf den Platz zu können, um zu trainieren. Da muss jetzt ein Zeichen gesetzt werden. Die aktuelle Situation darf nicht zum Dauerzustand werden.

Wie wirkt sich das fehlende Kicken auf das Verhalten Ihrer Kinder aus?
Schiertz: Ihnen fehlt die Balance, der Ausgleich zur Schule. Ich erkenne meine Kinder kaum noch, sie haben sich sehr verändert, sind unzufrieden, nörgelig und einfach traurig.

Wie schätzen Sie in Ihrem Verein die Bereitschaft ein, ein Hygienekonzept vorzubereiten und diszipliniert umzusetzen?
Schiertz: In den Vereinen, in denen meine Kinder spielen und in dem mein Mann Trainer ist, hat es letztes Jahr mit den Hygienekonzepten super funktioniert. Es gab ein Einbahnstraßensystem und am Eingang Ständer mit Desinfektionsspray. Für die Spiele haben meine Kinder die Trikots mit nach Hause bekommen und sind umgezogen zum Spiel gefahren. Kabinen waren also nicht nötig. Und die Kontaktformulare wurden auch gewissenhaft ausgefüllt. Zwischen den einzelnen Mannschaften haben unsere Vereine eine halbe Stunde Pause gelassen. Das erfordert natürlich viel Disziplin und richtig gute Organisation. Aber ich kann nur sagen: Es hat funktioniert!

Sie hatten also nie die Sorge, dass sich Ihre Kinder oder Sie durch den Fußball anstecken?
Schiertz: Es ist jedem klar, dass man im Moment nicht zusammensitzt oder gemeinsam am Platz tratscht. Darum geht's auch gar nicht. Es geht darum, dass die Kinder spielen können. Daher habe ich nie auch nur eine Sekunde die Sorge verspürt, dass sich meine Kinder am Platz anstecken könnten. Nie.

Wie nehmen Sie die Nebenwirkungen des Lockdowns wahr?
Schiertz: Mir bricht es das Herz, wenn ich an die Langzeitfolgen denke. Es ist zum Beispiel gravierend, dass viele Eltern in Kurzarbeit sind und überlegen, wo sie Geld sparen könnten. Mein Mann ist Trainer und viele seiner Kinder werden nicht mehr zurückkommen, weil sie jetzt ein halbes Jahr fast nicht trainiert haben. Sie werden aufhören. Das ist der eine Aspekt. Der andere ist, dass sich viele Eltern die Mitgliedsbeiträge nicht mehr leisten werden können oder nicht mehr leisten wollen. Für die Vereine fallen wichtige Einnahmequellen weg, zum Beispiel Jugend- oder Hallenturniere.

Was wäre bei Ihnen zu Hause los, wenn Ihre Kinder zurück auf den Platz dürften?
Schiertz: Dann ist hier Party! Meine Jungs wären mittlerweile schon total glücklich, wenn sie in Kleingruppen und kontaktlos trainieren dürften.

Was wünschen Sie sich als "Fußball-Mama" für die Zukunft?
Schiertz: Dass das unser letzter Lockdown ist und meine Kinder wieder ihr altes Leben zurückbekommen. Dass sie wieder glücklich sind. Aktuell fehlt ihnen der Mittelpunkt ihres Lebens. Das, was sie glücklich macht: der Fußball.



Link auf Fußball.de:
http://www.fussball.de/newsdetail/lockdown-meinen-kindern-fehlt-die-balance/-/article-id/224953#!/


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